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Freitag, 7. Juni 2013

Über das Schreiben II - Romane und Kurzgeschichten

Es lässt sich nicht vermeiden – sei es im Literaturstudium oder in der Freizeit – mit Kurzgeschichten und Romanen in Kontakt zu kommen, wenngleich letztere wohl häufiger von Fantasylesern konsumiert werden.
Während die meisten Leser sich der grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Gattungen zumindest noch aus der Schule grob bewusst sind, wird selten darüber nachgedacht, welch verschiedene Ansprüche sie an ihre Verfasser richten. Ein Autor tut gut daran, sich für die Kurzgeschichte und für den Roman andere Herangehensweisen zuzulegen.
Damit sind nicht einmal so sehr die üblichen Termini wie in medias res gemeint. Für den Autoren unterscheiden sich die Gattungen in ihrem Umgang mit Charakteren, dem Ablauf und Tempo der Handlungen und dem Umfang der Ereignisse.

Allgemein gesprochen - und wenig überraschend - ist die Anzahl der Charaktere in einer Kurzgeschichte um einiges geringer als in einem Roman oder einer Novelle. Das verlangt vom Autoren, dass er direkt von Anfang an gut ausgestaltete Charaktere präsentieren muss, denn mit Hintergrundgeschichten kann er sich hier nicht aufhalten. Darin miteingeschlossen ist die Überlegung, wieviele Informationen dem Leser vermittelt werden müssen, während gleichzeitig nicht zu viel zu vereinfacht dargestellt werden sollte oder Handlung zu Gunsten von Charakterisierung gekürzt werden darf.
In einem Roman oder einer Novelle rührt andererseits ein großer Anteil der Faszination von der Bandbreite her, mit dem sich der Autor der Psyche und Lebensgeschichte eines oder mehrerer Charaktere widmen kann. Während eine Kurzgeschichte damit davonkommen kann, den Fokus auf einen einzigen (oder eine handvoll) Charaktere zu legen, präsentieren uns Romane eine weitaus größere Riege an Akteuren und erlauben es dem Autoren so, beispielsweise verschiedene Perspektiven auf dieselben Ereignisse darzustellen oder Charakteren Tiefe zu verleihen, indem ihre Hintergrundgeschichte dargelegt wird. Allerdings besteht hier Grund zur Warnung: schlampt der Autor in seinem Handwerk und geht nicht vorsichtig vor, erscheinen die verschiedenen Charaktere all zu oft nur wie Klone mit falschen Bärten und unterschiedlichen Perücken.

 Was Ablauf und Tempo der eigentlichen Handlung anbelangt, erlegt die Kurzgeschichte dem Verlangen des Autoren, in seiner Kreation umherzustreifen und all die hübschen Dinge aufzuzeigen, strenge Restriktionen auf. Kurzgeschichten benötigen eine sehr klare Struktur; idealerweise eine, die im Vorfeld des Schreibens wenigstens grob ausgearbeitet wurde. Eine Outline oder Skizze bietet sich hier an.
Der Plot an sich muss fokussiert sein und auch so vermittelt werden, ohne überflüssigen Schnickschnack - die richtige Balance zu finden braucht Übung und viel Erfahrung und selbst dann ist kein Erfolg garantiert. Das bedeutet allerdings keinesfalls, dass Kurzgeschichten simpel sein müssen - Alice Munros "Meneseteung" würde wohl niemand derart beschreiben - aber die dargestellten Ereignisse sind in der Regel gering in der Zahl und geschehen in einer kurzen Zeitspanne in der der Leser Einblick in Welt, Charaktere und Lebensumstände erhält.
Romane gestatten hingegen geringeres Tempo und weniger fokussiertes Schreiben. Während eine Outline für den einen oder anderen nützlich sein mag, kann die Handlung eines Romans sich durchaus wie Wildwuchs entwickeln und schnell aus jedem zuvor festgelegten Konzept ausbrechen. Nicht selten bricht ein Autor mit einer festen Vorstellung vom Ende seiner Geschichte in eine neue Phantasiewelt auf, nur um zu erleben, wie die Interaktion zwischen den Charakteren und ihre Beziehungen eine ganz andere Fliehkraft entwickeln. Zwar folgen auch Romane oftmals einer Art "Standardvorlage" von ansteigender Handlung, Höhepunkt und Denoument, können und dürfen sie vom Weg abweichen, Nebengeschichten erforschen und schnellere mit langsameren Abschnitten zu einem großen Ganzen verweben.

Eine der ersten Sachen - und vermutlich einer der Faktoren, der tatsächlich den meisten im Gedächtnis bleibt - ist, dass Kurzgeschichten in der Regel einen begrenzten Handlungszeitraum und eine begrenzte Menge an Handlungen betrachten. Das bedeutete, dass die Handlung in relativ kurzer Zeit stattfindet und sich bloß auf solche Ereignisse konzentriert, die für die Geschichte absolut notwendig sind. Für den Autoren liegt der Schlüssel zu einer guten, gut lesbaren Kurzgeschichte darin, unnötige Elemente auszumachen und gnadenlos zu kürzen.
Im Roman sind Nebenhandlungen nicht nur erlaubt, sondern auch wichtig, Beschreibungen dürfen weniger zurückhaltend verwendet werden. Anstatt dem Leser nur zu zeigen, was geschieht, darf der Roman sich daran versuchen, die Hintergründe und Auslöser für Ereignisse zu untersuchen - warum geschieht alles genau so und nicht anders? Charaktere dürfen auch außerhalb der Notwendigkeiten des Plots und der primären Charakterisierung agieren. Andererseits ist es auch dieser Umstand, der es dem Autoren manchmal erschwert, sein Werk nicht unnötig oder künstlich aufzublasen.

Aus der Perspektive des Autoren ist der Unterschied zwichen Roman und Kurzgeschichte dehalb mehr als nur einer der Länge. Auch die technischen Anforderungen sind grundverschieen. Beide Formen besitzen ihre eigenen Herausforderungen und Begrenzungen, aber auch ihre ganz eigenen Erfolgserlebnisse und Belohnungen. Während eine Kurzgeschichte so künstlerisch wertvoll und anspruchsvoll ist wie das Malen eines Portraits, gleicht ein Roman nicht selten eher einem ausgedehnten Wandgemälde. Keine Form ist der anderen überlegen - sie fordern lediglich auf unterschiedliche Weise Technik und Talent - und beide sind auf ihre jeweils eigenen Weise unterhaltsam.
Für Leser und Autoren.

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