Willkommen

Willkommen in der Weltenschmiede

Freitag, 31. Mai 2013

In Eigener Sache 2: Electric Bugaloo

Hallo zusammen!

So lange gibt es diesen Blog ja dann noch nicht, deshalb bin ich umso begeisterter, bereits 1000+ Besucher zu verzeichnen. Ich weiß, für diejenigen von Euch, die auch selbst bloggen, sind das vermutlich nur Peanuts, mich freut es aber dennoch sehr ;)

Für diese Woche muss ich allerdings eine schlechte Nachricht ankündingen - Ihr habt es Euch ja sicher schon gedacht: ich komme diese Woche leider nicht dazu, einen neuen Artikel zu posten. Weil das ja letzte Woche um ein Haar auch schon passiert ist, möchte ich mich deshalb entschuldigen, aber Zeitmangel und dergleichen lassen es diese Woche leider nicht zu.
Aus diesem Grund möchte ich für die Zukunft die Termine für den wöchentlichen Beitrag auf Freitag verschieben, was mir ein wenig mehr Zeit verleihen wird, mit meinem Geschreibsel zwischen Universität und Leben fertig zu werden.

Ich hoffe, Ihr seht es mir nach.

Mit besten Grüße,
ein verplanter Wirrkopf ;)

Samstag, 25. Mai 2013

Ausgelatschte Pfade - oder: Fantasy-Klischees III

Ähem, also ... es ist noch Samstag!

Heute kommen wir dann endlich zum Final meiner Liste der größten Fantasy-Klischees. Es folgen die Plätze Vier bis Eins. Viel Spaß.

Platz 4: Die Weltenretter

Copyright: Save the World Research Group
In der Fantasy steht nicht selten die Rettung der Welt im Vordergrund – so ausgelutscht der Plot auch ist -, dabei dient die Bedrohung oftmals nur dazu, den Protagonisten durch eine Reihe von festgelegten Hindernisparcours zu schicken, an deren Ende der Dunkle Lord ihn erwartet.
Im Grunde handelt es sich hierbei um eine Art Meta-Klischee unter dem eine Reihe eng verwandter Klischees zusammengefasst werden können. Ich möchte es trotzdem separat erwähnen, weil mit dieser Handlungsstruktur oftmals das ganze Genre pauschal gleichgesetzt wird: Timmy rettet die Welt und wird auf dem Weg dahin vom Dünnbrettbohrer zum Helden in strahlender Rüstung. Mehr noch, er zieht sogar von Anfang an mit dem expliziten Ziel aus, das jeweils angebrachte Armaggedon-Equivalent aufzuhalten.
Unvermeidbar sind dabei Dunkle Lords, Lehrmeister und magische Waffen/Plotcoupons. Anstatt persönliche Geschichten zu erzählen, wird oftmals eine Checklist abgearbeitet, die als ausreichender Ersatz für Charakterentwicklung (oder Handlung als Abfolge von Aktion und Reaktion) aufgefasst wird.
Ich wünsche mir für das Genre weniger Weltenretterplots und mehr Geschichten, die von Charakteren und Entscheidungen getrieben werden oder aus den Lebensumständen von Personen hervorgehen. Weniger Dunkle Lordstm und mehr menschliche Abgründe. In einem ausreichend komplexen Handlungsuniversum wird schnell deutlich, wie wenig Sinn Weltenrettung überhaupt macht. Wenn es keine klaren Grenzen zwischen Gut und Böse gibt, wer soll dann was vor wem retten? Und weshalb? Und von welcher Welt reden wir eigentlich? Vom ganzen Planeten oder nur von der Lebenswelt eines Volkes – und welche Perspektiven auf die Rechtfertigung all der Taten des Helden eröffnet dies?
Erzählt von den Konflikten zwischen Personen, zwischen Ländern, wenn es sein muss, aber macht die Bedrohungen menschlich, nicht übernatürlich. Götter und Dämonen, die die Welt zerstören wollen, sind nicht halb so interessant wie gut gemachte Handlungen um Politik, Blutfehden oder auch Religion und Glaube.
Ganz davon abgesehen, dass besagte Dunkle Lords selten sinnvolle Motive besitzen.
Und: Wenn die Welt gerettet werden soll, warum dann vor magischer Zerstörung durch einen Dunklen Lordtm? Ich wünsche mir, jemand würde eine Geschichte über magische Umweltverschmutzung schreiben, die das Ende der Welt hervorzubringen droht. Eine Art Fantasy-Ökothriller. Das wär doch mal was!

Platz 3: Yin und Yang, Licht und Dunkel, Gut und Böse, Ödnis und Einfallslosigkeit
In der linken Ecke: Ödnis. In der rechten Ecke: Einfallslosigkeit - Copyright: wallpapervortex.com
Fantasywelten sind oftmals einfach aufgebaut. Soweit nichts Neues. Ebenfalls nicht neu ist, dass ich das - gelinde gesagt - für Schade und - ehrlich gesagt - für langweilig halte.
Ich will hier aber gar nicht wieder in meinen Singsang von meinem Traum der "Menschlichkeit von Handlung und Charakteren" verfallen. Die Einteilung einer Welt in Gut und Böse, auch mit den gelegentlich kosmetisch applizierten Akzenten aus weniger eindeutigem Grau (obwohl es niemals wirklich Grau ist), ist mir ein Dorn im Auge und sollte weniger Verwendung finden, als sie tut.
Kommen wir lieber dazu, wie Gut und Böse oftmals präsentiert werden.
Nicht nur, dass Gut und Böse als moralische und tatsächliche Absolute gehandelt werden, meist ist schon von der ersten Begegnung an deutlich, wer zu welcher Fraktion gehört (außer beim obligatorischen Spion oder Verräter, der jedoch nicht selten trotzdem etwas "schlangenhaftes" hat). Orks sind hässlich, Elben schön; böse Menschen dumm und dreckig, wer hingegen in eine strahlende Rüstung gekleidet ist, dem vertrau man schonmal ungefragt sämtliche PIN-Codes an.
Absurd wird es dann, wenn die moralische Wertung in die Grundzüge der Welt eintritt erhält. Sicher, die Menschen glauben vielleicht, dass sich böse Seelen in einem Schattenreich und gute auf ewig grünen Wiesen wiederfinden, wenn sie über den Jordan gegangen sind. Aber muss sich das auch bewahrheiten? Ich will gar nicht fragen, woher die Menschen ihr sicheres Wissen eigentlich haben. Aber rein logistisch: wie bitte wird ausgewertet? Was ist böse? Taten oder Konsequenzen?
Mit der Frage wird sich selten auseinandergesetzt, stattdessen wird mit moralischen Idealen um sich geworfen, die außerhalb von kantscher Theorie nicht viel verloren haben sollten.
Sagte ich eben etwas von "absurd"? Aufgepasst, es wird absurder, wenn wir uns ansehen, wie unterschiedlich die Taten "Guter" und "Böser" Charaktere bewertet werden. Timmy schlachtet in seiner Abenteurer-Laufbahn, quasi auf dem Weg zur Fortbildung zum Weltenretter, knapp dreihundert Stadtwachen, Soldaten und Priester des Bösen ab, von Orks und dergleichen ganz zu schweigen, aber weil er zu den "Guten" gehört, wiegen seine Taten weniger schwer als die des Kommandanten der Stadtwache, der Aufständische in einem Versuch, die Ordnung aufrecht zu erhalten, hängt, aber leider das Pech hat, im Dienst des Bösen Königs zu stehen?
So sehr ich das Klischee auch hasse, gibt es glücklicherweise genug Autoren, die vernünftig mit den moralischen Fragen ihrer Welten umgehen. Wer ein Paradebeispiel für eine erschreckend graue Welt lesen will und für komplizierte Moral, die selten aus einer anderen Perspektive Sinn macht, als aus der des jeweils handelnden, dem seien Joe Abercrombies Bücher ans Herz gelegt.


Platz 2: Der Dunkle Lordtm
Abbildung ähnlich, Batterien nicht enthalten - Copyright: New Line Cinema

Ein Schatten bedroht die Welt. Auf seinem Thron aus den Knochen der Gefallenen sieht der Schattenkönig auf das Friedliche Landtm hinab, das er zu unterjochen gedenkt, weil …
Ja, warum eigentlich? Viele Fanatsy-Fieslinge sind bei näherer Betrachtung erstaunlich motivationslos. Der Dunkle Lord will die Welt erobern, weil das zu seiner Stellenbeschreibung gehört oder er ist wahnsinnig oder das Böse selbst.
Viele Fantasy-Antagonisten fallen in die Kategorie des Dunklen Lords, womit ihre Charakterisierung scheinbar abgeschlossen ist – dabei hat sie nicht einmal stattgefunden. In ihren Reihen tummeln sich mächtige Magier, magische Untote, Blut- und Todesgötter oder gar gefallene Engel, wenn man bei der Erstellung der Weltmythologie gerade mal nicht ganz so viel Bock hatte. Manche haben eine Art Hintergrundgeschichte, aber viele sind bloß Pappaufsteller mit schwarzem Anstrich, rotglühende Augen optional.
Wie sehr Autoren mit derartiger Einfallslosigkeit ihrem eigenen Plot wehtun, fällt den meisten nicht einmal auf, dabei ist der Antagonist eines der wichtigsten Element in der Handlung. Denn: So wichtig es ist, sich mit dem Protagonisten einer Geschichte identifizieren zu können, behaupte ich, es ist noch wichtiger, die Aktionen des Antagonisten nachvollziehen zu können. Warum tut er, was er tut? Oder, falls das das Mysterium im Zentrum der Geschichte zu wenig mysteriös machen würde: was sind seine Charakterzüge? Oder anders: warum muss es überhaupt einen Dunklen Lord geben? Weil Tolkien einen hatte? Was ich von dieser Begründung halte, dürfte sich inzwischen jeder zusammenreimen können. Folgen dieser Auffassung sind gesichtslose Finstermänner wie Robert Jordans Dunkler König (im Original: The Dark One; I kid you not), die die Welt aus dieser oder jener Motivation heraus zerstören wollen, die entweder nur dürftig, oder gar nicht näher erklärt wird. Warum sollte ich mich dafür interessieren, dass Noruas, Herr der Armbänder und Silberkettchen, die Welt zerstören will? Ich lebe ja nicht in ihr. Wenn der Leser die Bedrohung nicht im Text selbst spürt, nicht nachvollziehen kann, was hier gerade aus welchem Grund passiert, tanzt auch der letzte Hauch von Spannung bald auf der Hochzeit zwei Häuser weiter.
Selbst Sauron, der oftmals als Rechtfertigung für Dunkle Lords aus Reihenfertigung angeführt wird, ist komplexer, die Geschichte seiner Verführung durch Melkor tief mit der restlichen Geschichte der Mittelerdes verwoben.
Besonders nervig wird es für mich dann, wenn die perfiden Pläne des Schwarzen Gottes der Vernichtung und Steuererklärung noch so kreativ ausfallen, die Helden - allen voran Timmy - ihm aber immer wieder entkommen. Dadurch wirkt selbst der finsterste aller finsteren Leichenlords dann nur noch wie ein beliebiges Hindernis auf dem Weg, das zum Zweck gerade passender Scheinspannung mal wieder in den Vordergrund gezerrt wird. 
Persönlich finde ich andere Arten von Antagonisten interessanter. Glen Cooks Lady ist zwar auch eine mächtige Magierin, aber sie ist bei weitem nicht das Schlimmste in der düsteren Welt der Black Company. Noch ist sie wirklich böse. George R.R. Martins große Anzahl menschlicher Monster ist weitaus unangenehmer zu lesen als alle Galbatorixe der Welt. Und Guy Gavriel Kay bringt es fertig, Brandin, den großen Gegenspieler der Protagonisten in Tigana, als den wohl sympathischsten und nachvollziehbarsten Charakter im ganzen Buch darzustellen, dessen Motive und Taten - so schrecklich sie auch seien mögen - nie ohne Grund sind.
Ich wünsche mir für das Genre weniger Schattenkönige und mehr Brandins, mehr Ladys und, ja, auch mehr Joffreys.

Kommen wir zum großen Abschluss, dem Finale, dem Höhepunkt! Es wurde vorausgesagt, dass es so geschehen soll - und es geschieht auch so, mein

Platz 1: Die Prophezeiung und der Auserwählte

Ein ganz seltenes Exemplar - Copyright: Warner Bros.
Während ich bei der Aufstellung der Liste mehr als einmal schwere Entscheidungen treffen musste und ich mit der Position dieses oder jenen Platzes dann doch nicht ganz so zufrieden bin, hatte ich von Anfang an keine Zweifel, was letztlich zuoberst auf dem Siegertreppchen stehen würde. Eigentlich zwei einzelne Klischees, die aber so eng verwoben sind, dass sie selten unabhängig voneinander auftreten: die Prophezeiung und der Auserwählte als stotternde Motoren der großen Abenteuer von Timmy in Nullachtfünfzehnstan.
Warum verlässt unser Held sein Heimatdorf? Weil er der prophezeite Weltenretter ist – was für eine Frage! Warum lässt der Dunkle Lord alle Neugeborenen umbringen, die in der Nacht der Wintersonnenwende geboren wurden? Weil ihm prophezeit wurde, dass eines der Kinder ihn zu Fall bringen wird. Warum sucht alle Welt (oder alternativ eine kleine Gruppe eingeweihter) nach den Steinen der Macht? Weil prophezeit wurde, dass sie den Fall des Dunklen Lords herbeiführen können. Warum kommt die Handlung überhaupt in Gang? Weil am Anfang eine Prophezeiung stand.
Dieses Klischee trifft man vor allen Dingen in der High Fantasy oder der epischen Fantasy an, in denen das Ziel des Protagonisten in der Regel die Rettung der Welt ist oder die Entthronung eines bösen Königs, und ist oft als Antwort auf die implizierte Frage gedacht, warum geschehen die Dinge, die die Handlung erfordert?
Überspitzt gesagt (aber nicht sehr), ist eine Prophezeiung eine einfallslose Abkürzung, ein Mittel, das von außen an eine Situation oder einen Charakter herangeführt wird um ihn agieren zu lassen, anstatt seine Aktionen (und damit die Handlung) aus der Persönlichkeit oder den Umständen des Charakters erfolgen zu lassen. Nicht selten ist der Protagonist zugleich der Bauernjunge als auch der Auserwählte, der als einziger die Welt vor der Vernichtung bewahren kann. Dabei fällt die kausale Kette schnell in sich zusammen, wenn man sie nur richtig anstuppst und ein wenig am Lack kratzt. Die Argumentation dreht sich nicht selten im Kreis: Warum muss der Protagonist sein Heimatdorf verlassen? Weil prophezeit wurde, dass er die Welt retten wird. Warum ausgerechnet er? Weil er der Auserwählte ist. Warum ist er der Auserwählte? Weil es prophezeit wurde.
Die Handlung entsteht nicht, weil die Umstände sie hervorbringen, sondern weil eine Kräuterhexe vor tausend Jahren zu tief ins Glas – Pardon! - in die Kristallkugel geschaut hat.
Prophezeiungen machen besonders wenig Sinn, wenn man sich anschaut, wie viel Zeit zumeist vergangen ist, seit sie ausgesprochen/niedergeschrieben wurden. Heutzutage bereitet Historikern schon ein Text Probleme, der vor zweihundertfünfzig Jahren in einer damals üblichen Variante einer heutigen Sprache oder in fremdartiger Handschrift verfasst wurde, aber irgendwie bleibt die Prophezeiung über einen größeren Zeitraum verständlich genug um ein kleines Dorf im Nirgendwo ausfindig zu machen? Der Wortlaut ändert sich nie? Teile der Prophezeiung gehen nie verloren? Es gibt Ewigkeiten lang Menschen, die es irgendwie schaffen, die Prophezeiung weiterzugeben, obwohl der Dunkle Lord wenig unversucht lässt um sie auszurotten? Obwohl keine Universitäten oder Bibliotheken in der Welt existieren? Obwohl Timmys Dorf eine halbe Weltreise und vierzehn Sprachzonen vom Ursprungsort der Prophezeiung entfernt ist? Und wieso macht der Dunkle Lord so oft erst dann Jagd auf den Protagonisten, wenn der alt genug ist um zu reisen? Ich dachte, die Prophezeiung ist uralt? Noch dazu, wenn die Texte vieler mühsteriöööser Prophezeiungen so klar zu interpretieren sind, wie der der Tagesspruch in einer x-beliebigen Tageszeitung? Wo wir dabei sind: Wieso sollte die Prophezeiung überhaupt stimmen?
Viele dieser Fragen werden entweder nie beantwortet oder der Autor winkt bloß ab und nuschelt etwas von „Magie“ oder „Schicksal“.
Das Problem ist dabei auch, dass wir keinen ausgereiften Charakter präsentiert bekommen, in dessen Entwicklung schließlich deutlich wird, warum ausgerechnet er der langerwartete Messias ist. Stattdessen setzt man den Lesern Timmy McNaive vor und erwartet, dass seine Rolle bei der Rettung der Welt glaubhaft wird, weil vor einer halben Ewigkeit gerade ein Magier zur Hand war um eine Vision zu empfangen.
Natürlich können auch mit diesem Klischee einige interessante Spielchen getrieben werden, aber selten klappt das so richtig. Selbst in Harry Potter habe ich die Augen verdreht, als auf einmal eine Prophezeiung ins Spiel kam, auch wenn J.K. Rowling ihr Handwerk gut genug versteht um die meisten Fallgruben dieses Klischees zu umgehen.
Um es noch einmal zu betonen: Eine gute Handlung sollte niemals von außen an die Lebenswelt der Charaktere herangetragen werden und immer der Geschichte und den Motivationen der Charaktere selbst entspringen. Zu sagen, „es gibt eine Handlung, denn sie wurde prophezeit“, ist faul und einfallslos und nur wenige Autoren besitzen genug Talent und Erfahrung um von dieser Ausgangslage aus tatsächlich Neues zu erzählen.


So, das war sie, die Liste der Fantasy-Klischees, die meiner Meinung nach im Hinterhof erschossen und tief vergraben gehören - oder zumindest mit einem großen Maß an Introspektion verwendet werden sollten. Ich hoffe, das Lesen hat Euch allen Spaß bereitet, ich habe mich beim Schreiben jedenfalls nicht gelangweilt.
Nächste Woche geht es dann weiter, vermutlich wieder irgendwann zwischen Donnerstag und Samstag.

Montag, 20. Mai 2013

Ausgelatschte Pfade - oder: Fantasy-Klischees II

Zuerst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass es der aktuelle Eintrag mit derartiger Verspätung an den Start geht, aber die Uni hat mich diese (also vergangene) Woche stärker in Anspruch genommen als erwartet. Deshalb wird sich wohl auch diese Woche der letzte Teil der Serie auf Freitag oder Samstag verschieben. Ich hoffe, ihr könnt mir das nachsehen.
Viel Spaß beim zweiten Teil der Fantasy-Missliste. 

Platz 8: Die Gefährten, oder: Auf Reisen mit Schablonen
 
Oreganor, Froda, Gumli und Gandalfine? - Copyright: Wizards of the Coast

 Unser Held plus Lehrmeister gelangen früher oder später an einen Punkt, an dem sie alleine nicht mehr voran kommen. Unterstützung muss her.
Nun, daran ist ja erst mal nichts schlecht. Aber auch hier schlägt oftmals der Klischeeteufel zu, sobald dem Autoren auffällt, dass die Weltenrettung zu zweit nicht funktionieren wird. Bald hat sich eine multikulturelle Gruppe zusammengefunden, die in ihrem Bestreben, den Plot … Verzeihung, ihre Aufgabe zu Ende zu führen, geeint gen Dunklerlordistan strebt. Aber nicht immer haben die einzelnen Charaktere eine wirkliche Motivation, die gleichen Ziele zu verfolgen wie der Hauptcharakter. Nein, oft haben sie überhaupt keine Motivation und die Heldengruppe ist nur eines der weiteren Elemente, die aus dem Herrn der Ringe kopiert werden. Tolkien hat schließlich eine bunte Truppe an Frodos Seite gestellt, wer also in seine Fußstapfen treten will, muss auch eine haben. Und Gimli & Co. brauchten ja schließlich auch keine Motivation, richtig?
Nicht so ganz. Denn, was gerne mal vergessen wird – wie so oft, wenn man sich unreflektiert an angeblichen „Genrestandards“ orientiert: Jedes einzelne Mitglied der Gefährten hatte eine Motivation, Frodo zu folgen.
Sicher, bei vielen ist es nicht mehr als Treue zu Frodo (Sam und Gandalf etwa), aber das ist immer noch hundert Prozent mehr als die meisten anderen Standardfantasy-Gefährten vorzuzeigen haben.
Dabei täten Autoren gut daran, sich lieber Gedanken um komplexe, eigenmotivierte Charaktere zu machen, als eine Liste abzuarbeiten, bis von „Magier“ bis „Zwerg“ überall ein Häkchen gemacht wurde.
Warum folgt Charakter X dem Helden? Warum sollte Elfenkrieger Y Interesse daran haben, einen Bauernjungen und einen bärtigen Landstreicher bis ans Ende der Welt zu begleiten?
Und davon ab: wieso immer Elfen, Zwerge und dergleichen? Fantasy fasziniert nicht dadurch, dass bekannte Elemente bis zur Unkenntlichkeit immer wieder durchgekaut werden, sondern, dass der Leser neue, unbekannte Welten erforscht. Denkt darüber nach, welcher der Charaktere, denen der Protagonist auf seinem Weg begegnet, sich überhaupt als Gefährte eignet und – bitte! - lasst diese Charaktere aus anderen Antrieben handeln als blinder Verehrung für den Helden oder einer Selbstlosigkeit, um die sie Mutter Theresa beneiden würde.


Platz 7: Kämpfe
 
Ohne Worte - Copyright: 20th Century Fox

Kämpfe sind Teil der meisten Fantasygeschichten und ich will sie auch gar nicht verbannen - obwohl ich Geschichten bevorzuge in denen der Protagonist nicht im Minutentakt Orks durch den Laubhäcksler dreht.
Aber wie mit so vielen anderen Dingen, an denen ich hier so Anstoß nehme, sind Kämpfe – auch wenn sie Stoßstange an Stoßstange folgen – wieder mal etwas, um das sich viele Autoren zu wenig Gedanken machen. Nur weil es Fantasy ist, heißt das nicht, dass Recherche außen vor gelassen werden kann.
Klar, niemand kann mal eben nachschlagen, wie so ein Duell zwischen Magiern aussehen muss, aber es gibt genug Handbücher und Youtube-Videos, die einen Eindruck über den Kampf mit verschiedenen Waffen vermitteln. Gerade im Zeitalter des Internets sollte es für Niemanden ein zu großer Umstand sein, einfach mal Genosse Google anzuwerfen.
Denn auch in der Fantasy gibt es eine Reihe von Regeln zu beachten, wenn es um kämpferische Auseinandersetzungen geht.
Wozu dient welche Waffe? Kann ich mit einem Schwert blocken? (Antwort: Ja, aber nicht allzu oft.) Welchen Einfluss haben Rüstungen auf die Bewegungsfreiheit?
Außerdem sind solche Recherchen hilfreich, um einen Autoren zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen. Denn schnell wird klar, dass kein noch so begabter Krieger (oder gar Timmy) gegen zwanzig Assassinen bestehen kann. Oder nach einem Treffer mit einem Streitkolben lustig umherspringen. Oder sein Schwert werfen und damit treffen. Oder mit einem Zweihänder in Innenräumen mit etwas anderem Erfolg haben, als die Bilder von den Wänden zu holen.
Zu dieser Art der Recherche gehört dann auch, sich über Arten von Verletzungen zu informieren. Und das ist dann wiederum Wissen, dass auch für den Kampf unter Magiern nützlich ist: Was macht der Körper nach einem Blitzschlag oder einer Verbrennung, wie schnell kann jemand verbluten, was bricht Pseudo-Gandalf sich, wenn der Freiflugzauber plötzlich versagt?

Platz 6: Der Völker-Zoo
 
by aizo


Obwohl seit „Der Herr der Ringe“ einige Zeit ins Land gezogen ist, die eigentlich neuen Ideen ermöglichen sollte ans Licht zu treten, stirbt die Idee der tolkienesken Völker als Must-Have für das Genre nicht den Alterstod, den sie verdient hätte. Woran das liegt, kann ich nur vermuten: Wie einige andere Elemente aus dieser Liste scheint die Vielvölkerei Mittelerdes oftmals unreflektiert übernommen zu werden, weil – D'uh! - es ist ja keine Fantasy, wenn keine Elfen auftauchen. Oder Orks. Oder Zwerge. Drachen. Halblinge. …
Und irgendwie scheint es sogar noch gut anzukommen, wie beispielsweise der Erfolg von Eragon erahnen lässt.
Pauschal habe ich eigentlich nichts gegen etablierte Fantasy-Völker. Aber selten unternimmt ein Autor etwas interessantes mit dem Konzept, denn wer Tolkiens Elben kennt, kennt Paolinis oder Salvatores. Ausnahmen bilden nette Experimente wie Markus Heitz Die Orks, aber schon Die Zwerge beweist, dass mit einem ausgetretenen Konzept nun mal nur begrenzt viel angefangen werden kann. Hinzu kommt, dass die meisten Fantasy-Völker intern keinerlei Unterschiede aufzuweisen scheinen: Elfen sind groß und schön und magisch und mögen die Natur, Zwerge tragen Bärte und trinken Bier, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig die Köpfe mit Äxten einschlagen. Orks gibt es in ebenso vielen Variatonen, aber während einige Autoren zumindest einen Hauch von Anstand besitzen und ihnen andere Namen geben – Robert Jordan: Trollocs; Christopher Paolini: Urgals – sind sie so austauschbar wie alle anderen Völker.
Warum also nicht eigene Völker kreieren? Nordische Mythologie hat mehr zu bieten als spitze Ohren und lange Bärte. Nun, zumindest als spitze Ohren.
Oder man lässt die fremden Völker gleich einfach ganz weg und konzentriert sich auf den Menschen, auf Menschlichkeit, Politik, persönliche Geschichten. Ein großartiges Beispiel dafür sind Glen Cooks Black Company Bücher. Die Welt in der sie spielen ist fremdartig und von allerlei Getier bevölkert, das einer äußerst kreativen Phantasie entsprungen ist – aber Menschen sind (beinahe) die einzigen intelligenten Lebensformen und die Handlung ergibt sich aus dem Zusammenspiel vieler menschlicher Faktoren. Und Magiern. Vielen, mächtigen Magiern.

Platz 5: Magie
 
Magier aus Werksverkauf - Copyright: Dragonlance

Ja, richtig gelesen, Magie ist für mich ein überholtes Fantasyklischee.
Aber halt! Nicht gleich Mistgabeln und Fackeln rausholen.
Prinzipiell habe ich nichts gegen Magie, schließlich ist sie ein integraler Bestandteil der meisten Fantasygeschichten und zwar zu Recht. Oftmals macht sie den kleinen Unterschied zwischen unserer Welt und Mittelerde/Westeros/Fantasyland aus. Mein erstes Buch hat einen Zauberer als Hauptcharakter und ich kann nicht behaupten, dass Magie eine zu vernachlässigende Rolle spielt.
Trotzdem plädiere ich dafür, weniger Magie – besonders von Individuen kontrollierte – in Handlungen einzubinden. Zum einen hilft das, realistische Charaktere in den Vordergrund zu rücken. Zum anderen kann es eine Herausforderung sein, dem Plot an Engpässen nicht durch magische Tricks auf die Sprünge zu helfen. Ein Kampf ist spannender, wenn kein Heiler bereit steht, Wunden durch Handauflegung zu beseitigen, genau so wie Böses, das nicht als untoter Magier oder seelenfressender Dämon daherkommt, sondern in der Gestalt von (gewöhnlichen) Menschen. Das perfekte Beispiel, wie effektiv so etwas sein kann, ist meiner Meinung nach in Pratchetts „Die Nachtwache“ zu finden. Die „wahren Bösen“ - soviel sei gesagt, ohne zu viel zu verraten – sind keine mächtigen Magier oder Lenker im Hintergrund, sondern kleine Leute, die, aus welche Motivation auch immer, Verwaltungsarbeiten erledigen, ohne ihre Rolle zu hinterfragen. Vertraut mir, es ist spannender als es klingt.
Ich bin nicht gegen Magie per se, denke aber, dass es dem Genre nicht schaden könnte, wenn Autoren ihre Helden durch andere Mitteln am Leben erhalten müssen, als durch magische Intervention. Vielleicht können sie die Protagonisten sogar gar nicht retten, wenn nicht im rechten Moment Erzmagier Convenius zur Verfügung steht – siehe George R.R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“. Martins Setting ist nicht frei von Magie, aber sie spielt bestenfalls eine untergeordnete Rolle.
Wenn es aber Magie gibt, dann sind ein paar Grundregeln zu beachten. Die lauten in etwa:
1. Es muss überhaupt Grundregeln geben. Magie darf nie übermächtig sein, sonst geht jeder Hauch von Spannung flöten. Sie darf vor allem nicht dazu dienen, ALLES zu tun, soll heißen, sie muss in Grenzen operieren. Dazu später mehr.
2. Die Grundregeln müssen zu jedem Zeitpunkt eingehalten werden. Wenn im ersten Kapitel etabliert wurde, dass Magier nur Heilen können, indem sie die Wunden ihrer Opfer auf sich nehmen, kann der Magier-Protagonist es nicht überleben, im Finale den tödlich verwundeten König zu retten.
3. Magie muss Limitierungen unterliegen. Klingt im ersten Grunde wie Punkt 1, kann aber nicht oft genug betont werden: Magie, die im Grunde nichts anderes als ein Eingreifen des Autoren ist, erstickt den Plot und seine Gefahren in der Krippe. Wenn der Held aber dann doch ein kleines magisches Wunder vollbringt, dann darf es bitte nicht aus dem Nichts kommen. Wenn vorher nie erwähnt wurde, dass ein mächtiger Magier mit einem Opfer seines eigenen Blutes für einen Moment ein Tor in den Himmel öffnen kann, damit heiliges Licht alle Untoten und Dämonen vernichtet, sollte die finale Konfrontation besser nicht auf diese Weise aufgelöst werden.
4. Die Helden sollten nie die mächtigste Magie haben. Sicherlich eine Meinungssache, aber wenn der Held jeden Feind mit Fingerschnippen von der Bühne fegt, folgt die Spannung meist direkt nach.
5. Magie sollte nie das erste Mitteln zur Lösung von Problemen sein.


Nächste Woche: die Plätze 4 bis 1.

Donnerstag, 9. Mai 2013

Ausgelatschte Pfade - oder: Fantasy-Klischees I

Als langjähriger und begeisterter Fantasyleser habe ich inzwischen eine lange Liste der Dinge gesammelt, die mir sauer aufstoßen, wenn sie auch nur angedeutet werden. Bei den meisten handelt es sich um bequeme Plotcoupons oder Ausschnitte aus dem Drechsel-dir-deine-Fantasygeschichte-zusammen-Bastelbogen, die so oder in ähnlicher Art schon tausendmal verwendet wurden und vermutlich auch schon besser. Trotzdem sind sie irgendwie nicht totzukriegen und abseits weniger Ausnahmen finden sie sich vor allen Dingen in der Art von Fantasy-Literatur, derer ich mich am liebsten mit Weihwasser und Napalm entledigen würde.

Was nun folgt, ist eine kleine „Hitliste“ - oder Missliste? - der am stärksten überstrapazierten Fantasy-Klischees in drei Teilen. Dabei soll es sich in erster Linie um relativ abgegrenzte Beispiele handeln, Überschneidungen bleiben aber nicht aus. Der erste Teil folgt diese Woche, der Rest dann nächste und übernächste.
Ich habe nicht nur eine einfache Aufzählung vorgenommen, sondern auch Beispiele und Vorschläge geliefert, wo das Klischee selbst nicht die Wurzeln allen Übels ist, sondern die Art, wie Autoren es verwenden.

Platz 12: Der Reiseplot

Der Herr der Ringe - Copyright: New Line Cinema

Nachdem der Lehrmeister den Bauernjungen mit Versprechungen von Abenteuer und Macht aus dem Dorf geholt hat, brechen sie auf. Zweihundert Seiten lang reisen sie durch die Lande, in denen der Autor keine Chance auslässt, jeden Quadratmeter mit vor Adjektiven triefender Beschreibung zu pflastern, keine Gelegenheit versäumt, die Geschichte der Königreiche und der Welt zu erklären, wann immer eine Ruine oder auch nur ein alter Backstein aus der Vegetation ragt. Natürlich gibt es auch Hinterhalte, aber meistens passiert nicht wahnsinnig viel und keiner der Orte, die dem Leser präsentiert werden, spielen irgendwann nochmal eine Rolle.
Wenn Lehrmeister und Bauernjunge (nennen wir ihn Timmy) an ihrem Ziel ankommen, ist die Rast meist nur von kurzer Dauer, denn schon geht es weiter um dem Bösen am Schicksalberg Einhalt zu gebieten.
Warum ziehen so viele Autoren den Reiseplot gegenüber anderen Handlungen vor? Noch dazu, wenn es oftmals so wirkt, als wäre die Reise der eigentliche Zweck der Handlung?
Anstatt sich ein ganzes Land auszudenken, in dem bei näherer Betrachtung ein grüner Hügel aussieht wie der andere, täten viele Autoren gut daran, ihre Handlung lokaler anzusetzen und beispielsweise eine einzelne Stadt oder ein Dorf – oder ein Haus! - mit Handlung zu füllen. Anstatt einem Helden, der zigtausend Dinge über die Welt lernen müsste, bevor er auch nur zum Jobinterview für die Stelle als Weltenretter darf, könnten Autoren so mit einem Protagonisten spielen, der jedes Fleckchen seiner Umgebung genau kennt, der Vorteile gegenüber Fremden hat oder blind für die dunklen Geheimnisse alter Freunde ist. Anstatt das Gefühl von Unvertrautheit im Leser zu wecken, indem man den Protagonisten in die Fremde verfrachtet, könnte man so die Fremde in das vertraute Umfeld bringen.
Ein kleinerer Handlungsrahmen bedeutet auch, dass weniger Charaktere zu handhaben sind und der Autor ein wenig kreativer sein muss, wenn es um Erzählperspektiven geht. Man muss nicht mal auf die reiche Hintergrundgeschichte verzichten, die viele Autoren so gerne um ihre Handlung stricken. Der einzige Unterschied ist, dass diese Hintergründe für den Protagonisten nicht unbedingt neu sind und damit, dass sie nicht als Exposition in Absatzlänge daherkommen, sondern als ein verwobener Teppich aus kleineren und größeren Details.
Das soll nicht heißen, dass Reiseplots prinzipiell schlecht sind. Sie sind nur totgetreten und den meisten Autoren fehlt die Gabe Tolkiens für ausschweifende Landschaftsbeschreibungen.


Platz 11: Der Zwangsprolog

The Parson's Prologue - wikipedia.de
Dies ist nicht das Ende, Mensch“, sagte der Schattenkönig mit seinen letzten Atemzügen. „Die Welt wird sich meiner erinnern und ich werde in sie zurückkehren!“
Kapitel 1: Tausend Jahre später.

Jeder, der schon einmal Fantasy gelesen hat, ist schon einmal darüber gestolpert, ich habe es auch schon verwendet und schäme mich auch Jahre später noch dafür: ein Prolog, der eine halbe Ewigkeit vor der Handlung des restlichen Buches spielt und lange Zeit keine Berührungspunkte mit ihr hat. Was interessiert es uns, was der Schattenkönig vor einer halben Ewigkeit gesagt hat, wenn wir die nächsten sechshundert Seiten lang Timmy dem Bauernjungen begleiten, der Grodulf den Magier zu den Königen des Lichts begleitet?
Selbst wenn der Prolog (viel, viel, viel) später eine Rolle spielt, sollte man sich fragen, ob es nicht bessere Methoden gibt, ihn in die Handlung einzubringen. Volkslieder oder Legenden, die eine abgewandelte Variante der damaligen Ereignisse erzählen? Eine heilige Schrift, die mit religöser Rhetorik verklärt, was wirklich vorgefallen ist?
Natürlich muss man sich dann andere Gedanken machen. Wie hat etwa eine Legende tausend Jahre überleben können, wenn es kaum Schriftlichkeit in der Welt gibt? Oder die vorherrschende Religion erst dreihundert Jahre alt ist? Und wenn sie älter ist: wie hat sie so lange überdauert und wieviele Elemente ihrer Geschichte wurden mit der Zeit verfälscht?
Aber: Alles ist besser, als dem Leser mit einem Prolog einen Eindruck von der Atmosphäre des Buches verschaffen oder Charaktere vorstellen zu wollen, die in Band 1 der Trilogie gar keine Rolle spielen, nur um ihn im ersten Kapitel direkt in ein völlig anderes Setting zu zerren. Welchen Zweck hat ein Prolog, wenn er nicht in die Handlung der Welt einführt, sondern bloß in ein abstraktes Element ihrer (wenig einfallsreichen) Mythologie?
Überhaupt sollte ein Autor sich immer fragen, ob eine Handlung überhaupt einen Prolog nötig hat. Warum nicht direkt mit der Handlung des ersten Kapitels anfangen?

Platz 10: Der Bauernjunge

Copyright: Lucasfilm
Seht ihn Euch an, unseren tapferen Helden. Aufgewachsen auf einem Bauernhof, zwingt ihn der Ruf der Pflicht/des Abenteuers/des weisen, aber schweigsamen Lehrmeisters, alles zurückzulassen, was er kennt um seinem Schicksal zu folgen. Oder er bricht auf um Rache zu suchen, nachdem der Dunkle Lordtm seine Familie/sein Dorf/sein Lieblingshaustier getötet hat. Oder er ist ein Waisenkind, das die anderen Kinder stets verprügelt und gehänselt haben. Nichts hält ihn hier.
Eigentlich gibt es schlimmere Klischees, aber der Bauernjunge, der in die Welt zieht ist wohl eines der meist verwendeten und deshalb am stärksten abgenutzten Klischees der Fantasy überhaupt. Aus technischer Hinsicht bietet es sogar Vorteile: eine ausführliche Hintergrundgeschichte des Protagonisten ist selten erforderlich, schließlich ist er noch jung; ohne lebende Verwandte hat er keine wirkliche Bindung zum Ort seiner Jugend und moralische Fragen kommen so selten auf. Gleichzeitig nimmt sich aber der Autor damit die Möglichkeit, dem Protagonisten durch geschickte Anwendung dieser Elemente Tiefe zu verleihen oder Entscheidungen Tragweite.
Ich möchte weniger Geschichten über Luke Skywalkers, Eragons und Rand al'Thors lesen und mehr Protagonisten in der Mitte ihres Lebens, mit Familien und Lebensgeschichten, die den Aufbruch erschweren, wie es die Häscher des Dunklen Lordstm nie könnten.
Klinge ich schon wie eine Platte mit Sprung? Denn ich sage es nochmal: ich möchte menschliche Charaktere und weniger Copy&Paste aus The Hero with a Thousand Faces.

(PS: Auf die Anzahl der Waisenkinder-Bauernjungen-Protagonisten, die sich als Wahre Erben des Thrones offenbaren, möchte ich an dieser Stelle gar nicht weiter eingehen. Dieses Klischee ist so abgenutzt, dass es überraschender wäre, sollte Timmy sich nicht als Sohn des Königs herausstellen.)

Platz 9: Der weise, aber schweigsame Lehrmeister

Nicht so weise und nicht so alt. Aber wenigstens Jeremy Irons - Coypright: Fox 2000 Pictures
 
Wenn der Bauernjunge also von seiner weitreichenden Verwendung schon abgenutzt ist, kann man durch den weisen Lehrmeister hindurch inzwischen die Sonne sehen.
Auch dieses Klischee ist eng mit Reiseplot und Bauernjunge verwoben: der weise Meister rettet den Protagonisten vor dem sicheren Tod durch die Schergen des Dunklen Lordstm. Oder er berichtet dem Bauernjungen von seiner Aufgabe in der kommenden Schlacht von Licht und Dunkel. Jedenfalls wird der Protagonist ihm früher oder später in die Ferne folgen. Meistens stellt der Lehrmeister sich dann als eine Art Obi-Wan Kenobi heraus oder eine vergleichbare Variation des Gandalf-Archetypen. Seine Aufgabe ist es, dem Protagonisten (und damit dem Leser) die Geschichte der Welt zu erzählen, bis jeder wichtige Punkt abgearbeitet ist. Viel wichtiger aber: er ist oft das Drosselungsventil der Handlung. Denn anstatt dem Protagonisten von Anfang an alles zu erzählen, was er wissen muss (Der König ist mein Vater? Der Dunkle Lord ist mein Vater? Die Magie war schon immer in mir?), lässt der Lehrmeister die wirklich interessanten Fragen aus, um auch ja das (erzwungene) Mysterium im Zentrum der Handlung aufrecht zu erhalten. Nur wenn der Autor das Gefühl hat, es müsse mal wieder etwas passieren (und der letzte Ork/Urgal/Trolloc-Angriff noch nicht lange genug her ist), enthüllt er einige spärliche Details. Fragen nach den wirklich wichtigen Einzelheiten schlägt er ab, denn a) Dafür jetzt keine Zeit ist, oder b) Du bist noch nicht bereit für dieses Wissen. Einen wirklichen Grund für die Geheimniskrämerei gibt es selten. Was aber noch viel schlimmer ist: Der Bauernjunge zuckt meist bloß mit den Schultern, anstatt sich eigenständig Gedanken zu machen. Er puzzelt sich nie selbst Antworten zusammen und noch seltener zweifelt er an seinem Lehrmeister, obwohl ein normaler Mensch sich längst fragen würde, warum er keine Antworten gibt, ob er etwas verbergen will und ob das ausgelassene Wissen nicht auf eine Gefahr für den Protagonisten schließen lässt. Denn wenn es wirklich um die Rettung der Welt ginge, sollte man meinen, dass nichts dringender sei, als dem zukünftigen Weltenretter in spe so bald wie möglich alles zu erzählen, was auch nur entfernt wichtig werden könnte.



Nächste Woche: die Plätze 8 bis 5.




Donnerstag, 2. Mai 2013

Über das Schreiben I - Schreibblockaden


Jeder Autor hat sie irgendwann einmal gehabt - Schreibblockaden. Sie lassen uns zweifeln und verzweifeln, an unseren Texten, unseren Ideen, unserem Talent, können die perfekte Handlung wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen und jedes noch so durchgeplante Projekt zum Stillstand bringen.
Dabei gibt es ein paar kleine Kniffe, mit denen man - wenn man sie nicht vollkommen überwindet - einer Schreibblockade zumindest ein wenig Paroli bieten kann.


Die Angst vor der leeren Seite - by caprisco
 
Vor etwa einem Jahr, inmitten eines umfangreicheren Projekts, hat es mich erwischt: Schreibblockade. Absolute Vollsperrung. Nichts ging mehr. Jeder Versuch, etwas zu Papier zu bringen erzeugte bloß Absatz um Absatz an hohlem Geblubber, Wörter und Sätze, die nicht zueinander finden wollten, sofern ich denn überhaupt etwas schrieb. Oftmals blieb die Seite vor mir einfach leer, blank, drohend. Ich war kurz davor die knapp dreihundert Seiten, die ich bereits produziert hatte, zu löschen, neu anzufangen - oder ganz aufzugeben. Heute bin ich froh, nicht derart überreagiert zu haben. Eine Schreibblockade ist nämlich selten die Katastrophe, die sie zu sein scheint.
Indem man die Gewohnheiten und Methoden ändert, nach denen man für gewöhnlich arbeitet, durch regelmäßige Übung und letztlich durch die Demystifizierung des Schreibrpozesses kann selbst die schlimmste Blockade überkommen werden. Auch wenn es lange Zeit dauern kann.
Wenn man in einer Schreibblockade steckt, ist es selten die schlechteste Idee, sich genau anzusehen, wo oder wann man schreibt. Es ist kein Geheimnis, dass man in der Psychologie Personentypen danach unterscheiden kann, zu welcher Zeit sie am effektivsten Arbeiten. Ein Nachtmensch wird deshalb Probleme haben, genug Kreativität zur Mittagszeit aufzubringen, jemand anders kann nach acht Uhr abends keine zusammenhängenden Sätze bilden. Wenn also das Schreiben zu einer Tageszeit nicht klappt, schadet es nicht, den Arbeitsrhythmus ein wenig umzustellen.
Genauso kann es hilfreich sein, den Schreibtisch hinter sich zu lassen und zu versuchen, an einem anderen Ort zu schreiben. Vielleicht findet man in einer neuen Umgebung auch neue Inspiration. Nicht selten sind nämlich die Wurzeln einer Schreibblockade mit der Langeweile verbunden, die man angesichts allzu bekannter Orte empfindet. In diesem Fall ist sie oft schlicht ein Signal, sich einen neuen Weg, eine neue Richtung zu suchen, ausgetretene Pfade zu verlassen - in der Welt und im Manuskript.
Tools of the Trade - by ManicMorFF

Inspiration ist wichtig. Soweit nichts Neues. Aber eine Schreibblockade muss nicht unbedingt bloß ein Mangel an Inspiration sein. Man kann so inspiriert sein, wie man will, endlich jene Kurzgeschichte zu schreiben, die einem schon ewig im Kopf herumgeistert, oder diesen Roman anzufangen, von dem man schon so lange träumt, wenn man Probleme hat, die Gedanken in Worte auf Papier zu bannen. Deshalb ist es wichtig, seine Fähigkeit zu Schreiben zu trainieren, schlicht, indem man schreibt, anstatt endlos über die Motivation von Charakter X oder Plotwendung Y nachzudenken. Sicherlich ist Schreiben eine Kunst, aber es ist auch ein Handwerk; nur durch regelmäßige Anwendung dieser Fähigkeit, lernen wir, wie Probleme, wie die Schreibblockade, zu umschiffen sind. Je vielfältiger die Mittel im eigenen Inventar um solche Probleme anzugehen, desto leichter kann man sich aus
Überhaupt ist der Glaube, Inspiration sei alles, man müsse nur auf den Kuss der Muse warten, ein unterschätzter Stolperstein. Natürlich ist Inspiration wichtig, aber sie ist längst nicht der einzige Faktor beim Schreiben. Oftmals rührt eine Schreibblockade nämlich daher, dass man ewig auf besagte Muse wartet, damit sie einem einen kurzen Blick auf diesen einen, perfekten Satz ermöglicht, dem man nun seit Wochen hinterherjagt.
Von dieser Idee sollte man sich lösen. Manchmal gibt es kein anderes Mittel gegen Blockaden, als sich einfach hinzusetzen und Satz um Satz, Seite um Seite herunterzuspulen, und sich nicht zuviele Gedanken um Qualität zu machen. Zeit für eine Überarbeitung ist später immer noch, umso mehr, wenn man nicht Tag um Tag damit vertrödelt, auf das Eingreifen einer schwer fassbaren, mystischen Kraft zu warten.

Eine Schreibblockade ist nicht das Ende der Welt, weder der um uns herum, noch der auf dem Papier (oder dem Bildschirm) vor uns. Sie kann auf verschiedene Weisen überwunden werden, doch sie alle verlangen, dass der Autor nicht herumsitzt und darauf wartet, dass die Dinge von selbst ins Reine kommen, sondern dass er die Zügel in die Hand nimmt und (in unbekanntes Land?) voranprescht.
In dieser Hinsicht ist eine Schreibblockade nicht anders als andere Hindernisse im Leben, denn auch die Kunst verlangt Initiative von denen, die sie schaffen wollen - und Schreiben, in allen Formen und Varianten, ist da keine Ausnahme.