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Samstag, 12. Oktober 2013

Über das Schmieden von Welten V: Antagonisten

Viele Geschichten kommen nicht ohne Gegenspieler aus. Für Fantasy gilt das nochmal doppelt, schließlich sind viele Erzählungen in diesem Genre klassische Abenteuer, in den Protagonisten Widerstand und Hindernisse überwinden müssen, um für sich selbst einen Platz in der Welt zu finden oder gleich das ganze Erdenrund vor dem Untergang zu retten. Zwar kann der geneigte Schreiberling durchaus mit einem unsichtbaren oder den Charakteren unbekannten Antagonisten arbeiten, das ist jedoch eine Herausforderungen, wenn es um die Erzeugung von Spannung geht. Meistens fällt dann anderen, kleineren Widersachern die Aufgabe zu, anstelle des Großen Bösentm für Spannung zu sorgen. Ohne Antagonisten, außer vielleicht in persönlicheren Kurzgeschichten, tut sich das Genre schwer.

Robert Jordans Dark One als Negativbeispiel - Copyright Red Eagle

Aber - und hier wanke und weiche ich nicht von vorherigen Äußerungen zu dem Thema - Gegenspieler heißt keinesfalls automatisch Dunkler Lord. Deshalb habe ich mich auch bewusst für den Begriff Antagonist entschieden, anstelle vom Bösen o.ä. zu sprechen. Der Dunkle Lord existiert in der Logik der Geschichte, um einen Katalysator für die Geschichte darzustellen, um Elemente in Gang zu setzen, die das eigentliche Abenteuer erst beginnen lassen. Seine Ziele sind einfach gestrickt und selbst die komplexeren unter ihnen wollen die Welt entweder zerstören oder erobern. Anstelle einer Persönlichkeit besitzen sie Betriebsanweisungen, denn sie existieren im Kern erst einmal zweckgebunden.
Das heißt nicht, dass Geschichten mit Dunklen Lords keine Antagonisten beinhalten können. Wie bereits gesagt verfügen die meisten Geschichten dieser Art über eine Art Ersatz-Antagonisten, der - zumindets von der Idee her - die Mängel des Dunklen Lords wettmachen soll. Hierbei kann es sich um die rechte Hand des Lords handeln, um Generäle, Fürsten oder auch Banditen, die sich dem Protagonisten in den Weg stellen.
Allerdings sind sie nicht automatisch das, was ich als Antagonist durchgehen lassen würde. Viele von ihnen sind in Sachen Motivation ähnlich mickrig ausgestattet, wie ihr finsterer Arbeitgeber. Warum dient Lord Fiesewicht dem Dunklen Lord? Weil er böse ist. Ganz selten auch auf Rache aus. Und die Soldaten? Auch.
Die "Motivation" - und ich verwende den Begriff hier mit Vorsicht - des Dunklen Lords wird auf seine Untergebene übertragen. Orks kämpfen für Mordor 2.0, weil sie böse sind. Banditen auch. Und hohe Adelige sowieso.
Damit sind auch diese Ersatz-Antagonisten keine Antagonisten im Sinne der Anklage.

Was aber macht - für mich - einen guten Antagonisten aus?
Die Antwort ist komplex. Ein guter Antagonist sollte das ebenfalls sein. In erster Linie ist er ein Charakter wie alle anderen, der - anstatt über seine Rolle im Aufbau der Geschichte definiert zu sein - eigene Antriebe besitzt und diesen folgt. Er besitzt eine Hintergrundgeschichte, die ihn und seine Handlungen erklären kann und nicht zwingend mit der des Protagonisten verwoben ist. Inzwischen würde ich soweit gehen und sagen, dass ein Antagonist, der einen persönlichen Groll gegen den Protagonisten hegt, sich mit Volldampf auf das Klischee-Territorium zubewegt, das der Dunkle Lord schon lange für sich beansprucht.
Ein weiteres wichtiges Element, das helfen kann einem Antagonisten Tiefe zu verleihen ist, ihn gar nicht erst als Antagonisten zu begreifen. Wieder einmal ist hier George R.R. Martin zu nennen, der dieses kleine, große Kunststück hervorragend beherrscht. Während im Lied von Eis und Feuer die Sympathien der Leser zum Großteil wohl aufseiten der Starks liegen, andere Charaktere weniger beliebt oder regelrecht verhasst sind, verfügen die meisten über eigenen Motivationen, Antriebe und Absichten. Die Ausnahmen sind vermutlich an einer Hand abzuzählen. Schließlich haben die Lannisters im Grunde ebenso eine Motivation für ihre Handlungen, wie die Starks. Charaktere beider Fraktionen sind ihren Häusern treu ergeben und sehen durch die jeweils anderen genau das in Gefahr gebracht, was für sie von hohem Wert ist. Das schafft interessantere Konflikte als die Zuteilung von Attributen wie Gut oder Böse, denn die Linie zwischen den beiden Extremen verwischt so, verbreitert sich oder verschwindet ganz in einer grauen Zone der Ungewissheit. Idealerweise muss sich der Leser nie fragen, wieso zum Teufel die Soldaten des Oberfiesewichts nicht einfach desertieren, wenn er so ein mieser Hund ist, denn die Antworten finden sich im Text selbst.

Das Paradebeispiel - Copyright HBO

Die Handlung wird dadurch ohne Zweifel komplexer als mit einem Hell-Dunkel-Schema. Das wird die Arbeit des Autoren schwieriger machen, aber auch interessanter und der Leser wird es ihm danken.
Denn Geschichten mit doppeldeutigen Charakteren und unklaren Rollenverteilungen laden zum diskutieren ein, sie halten ein Werk im Geiste des Publikums lebendig, weil es mehr zu sein scheint, als die Worte auf dem Papier. Ein Antagonist, der aus der Perspektive des Protagonisten ein eiskalter Bastard ist, kann aus seinem eigenen Blickwinkel eine komplexe Persönlichkeit mit klaren Zielen sein. Er darf Zweifel haben und auch Fehler machen, aber ebenso eigene Ideen entwickeln, die den nominalen Helden der Geschichte das Leben schwer machen. Die Dynamik einer solchen Geschichte wird dadurch ansteigen, obgleich sie auch schwerer zu bändigen sein wird. Es ist eine Herausforderung an den Autoren und vielleicht der Grund, warum eindimensionale Weltenverschlinger im Genre Fantasy noch immer in großem Stil vertreten sind.


Die Faustregel sollte lauten: Jeder Antagonist sollte behandelt werden, wie der Hauptcharakter in seiner eigenen Geschichte.
So ist es im echten Leben ja auch. Obwohl wir alle gerne glauben, Dreh- und Angelpunkt eines großen Epos zu sein, sind wir in dieser Vorstellung nicht alleine. Jeder Mensch, mit dem wir in Kontakt treten, erliegt selbst dieser Idee. Hier könnte sich die Fantasy einen Dienst erweisen, indem sie bewusster an der Realität bedient.


1 Kommentar:

  1. Ich schaffe ja am Allerliebsten Situationen, in denen jeder Protagonist sich zugleich der erste Antagonist ist - und erst dann kommen eventuell Gegner aus der Außenwelt, aber auch das nicht zwingend.
    Ich schreibe allerdings auch keine typische Fantasy *g*

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