Willkommen

Willkommen in der Weltenschmiede

Donnerstag, 4. April 2013

Buchvorstellung I - Guy Gavriel Kay: Sailing to Sarantium

Quelle: www.brightweavings.com

Als der Mosaikmacher Crispin vom Kaiser persönlich nach Sarantium gerufen wird, ist es für ihn eine Chance, seine schmerzliche Vergangenheit hinter sich zu erlassen. Widerwillig begibt er sich auf den Weg in die große Stadt um bei der Fertigstellung des neuen Tempels zu helfen, den der Kaiser als sein Erbe an die Welt erbauen lässt. Doch um nach Sarantium zu gelangen, muss Crispin gefährliche Wildnis durchqueren, in der sich, abseits der Straßen des Kaiserreiches, Glaube und Aberglaube in dunklen Wäldern vermischen und Crispins Leben für immer verändern werden.

Bereits in meinem vergangenen Post habe ich Guy Gavriel Kays zwei Bücher über den Mosaikmacher Crispin erwähnt (vier Bücher in der deutschen Übersetzung). Heute will ich versuchen, einen genaueren Einblick in dieses kleine große Meisterwerk zu bieten, und warum es für mich eines der herausragenden Beispiele für die Vielfältigkeit und Tiefe ist, die Fantasy erreichen kann, wenn der Autor weiß, was er tut.

Guy Gavriel Kay ist Historiker, was man seinen Büchern stets anmerkt. 1974 hat er bei der Editierung der Geschichten für J.R.R. Tolkiens Das Simarilion geholfen, 1984 veröffentlichte er mit seiner dreiteiligen FionovarTapestry (deutscher Titel: Die Herren von Fionovar) sein eigenes High-Fantasy-Werk, das zwar beeindruckend in seiner, von keltischen Sagen inspirierten, magischen Narrative ist, aber in meinen Augen eines seiner schwächsten Werke ist.
Nach Abschluss der Fionovar-Trilogie veröffentlichte er 1990 Tigana, eine Geschichte über Intrigen und Kleinstaaterei in einer fiktiven Version des mittelalterlichen Italiens. Bis heute sind all seine Bücher von diesem Kunstgriff beherrscht: Kays Welten erscheinen stets wie Echos unserer eigenen Welt, wie eine Spiegelung in unruhigem Wasser. Magie steht dabei selten im Vordergrund, ist aber stets ein Teil der Welt oder auch der Handlung. Vor dem Hintergrund von quasi-Italien, quasi-China oder – im Falle von der Geschichte von Crispin, dem Mosaikmacher – quasi-Byzanz, erzählt Kay ergreifende Geschichten über Menschen, die vor große Aufgaben gestellt werden, von Menschlichkeit in Zeiten großen Umschwungs oder von der Kraft epochaler Kräfte wie Glaube, Intellekt und Kunst.

Sailing to Sarantium erschien zuerst 1998 in den USA. In Deutschland ist es seit 2001 in zwei Bänden erhältlich, die die wenig phantasievollen Titel Das Komplott und Das Mosaik tragen. Leider kommt man an beide Bände nur noch über Umwege. Die deutsche Übersetzung ist in Ordnung, wenn auch nicht großartig, wer des Englischen mächtig ist, sollte daher zur Originalausgabe greifen – schon, weil das Cover der 2011er Ausgabe von Harpercollins (s.o.) ein kleines Meisterwerk ist.
Das Buch ist der erste von zwei Teilen, die Fortsetzung Lord of Emperors (dt.: „Der Neunte Wagenlenker“ und „Herr aller Herrscher“, beide 2002) schließt die Geschichte auf grandiose Weise ab.

Über den Inhalt möchte ich an dieser Stelle nicht allzu viel verraten. Gesagt sei nur, dass von Reise durch die Wildnis Sauradias und seine Zusammentreffen mit treuen Gefährten und großen Gefahren geprägt ist und von der überzeugenden Menschlichkeit des Protagonisten. Crispin ist ein Zweifler, ein Mann, der viel verloren hat und vieles erst wieder in sich entdecken muss, aber er ist nie wehleidig, was besonders deutlich wird, wenn es um sein Handwerk geht. Dieser Aspekt des Buches hat mich vermutlich am stärksten beeindruckt, selbst beim erneuten Lesen packt er mich jedes Mal aufs Neue: Crispin sieht die Welt mit den Augen eines Mosaikmachers, ohne dass es jemals aufgesetzt wird. So regt ein Sonnenaufgang über einer taugetränkten Wiese ihn an, sich zu fragen, wie er diesen Effekt mit kleinen Steinen und Glasstücken nachstellen kann. Ermöglicht wird dies durch Kays Fingerspitzengefühl bei Recherche und Einbindung von geschichtlichem und handwerklichen Wissen, das nie in Angeberei ausartet - auch wenn die Wagenrennen im zweiten Band der Originalfassung für manche Leser sicherlich so wirken können.


Quelle: www.brightweavings.com

Die Reise an sich ist zudem mehr als nur ein Mittel zum Zweck um vom A seiner Heimat zum B Sarantiums zu kommen. Hier wird Crispins Innerstes für den Leser offen gelegt, sei es in Interaktionen mit anderen Charakteren oder durch die Erfahrungen, die er durchleidet.
Während Crispin als Charakter für mich der große Star des Buches ist, geht der Preis für den besten Nebendarsteller – neben der Riege großartiger Nebencharaktere – an die Welt, der Kay mit kleinen Details Leben einhaucht, ohne je Beschreibungen zum Selbstzweck verkommen zu lassen. Hier werden Leser und Leserinnen keine ausschweifenden Kamerafahrten über die Straße nach Sarantium erleben, doch wenn die Tore der Stadt schließlich erreicht sind, hat man ein Bild von der wilden Landschaft, den kleinen Dörfern mit ihrer Einfachheit und ihren Schatten und den Urwäldern, in denen alte Macht seit Jahrhunderten residiert, wie sie ein Film nicht besser hätte vermitteln können.
Hinzu kommt der Humor, der mal deutlicher, mal subtiler die Ereignisse der Handlung begleitet. Ohne zu viel zu verraten, seit gesagt, dass ich mich auch beim wiederholten Lesen noch immer köstlich über Crispins ersten Auftritt amüsiere.

Natürlich ist nicht alles perfekt, auch wenn Sailing to Sarantium ziemlich nah dran ist. Kays Erzählstimme wandert gerne mal fort von den Charakteren und gibt Ausblicke auf Ereignisse, die in der Zukunft oder außerhalb der Wahrnehmungsmöglichkeiten Crispins und seiner Begleiter liegen. Wem so etwas missfällt, dem sei aber gesagt, dass ich für gewöhnlich auch nichts damit anfangen kann. Im Falle dieses Buchs fallen diese minimalen Makel jedoch nicht ins Gewicht. Sailing to Sarantium hat trotz - oder vielleicht gerade wegen - dieser kleinen Unreinheiten einen Spitzenplatz in meiner Top Ten der besten Erzählungen und Bücher eingenommen.

Elfen und Orks wird man hier keine finden, die Magie hält sich – wie bereits erwähnt – stets im Hintergrund. Dafür bekommen Leser und Leserinnen die Chance, ein beinahe perfektes Leseerlebnis zu erfahren, mit glaubwürdigen Charakteren und einer stimmigen Welt, die hart, aber nicht ohne Gnade ist und deren Schönheit gerade im Angesicht der düstereren Passagen von bestechender Deutlichkeit ist. Darüber gesprenkelt findet sich ein Zuckerguss aus großartigen Themen, von Religion über Trauer und Macht, bis hin zu Vergebung, die Kay trotz ihrer Tragweite mit begnadeter Leichtigkeit angeht.

Sailing to Sarantium ist definitiv eines meiner absoluten Lieblingsbücher, wenn nicht sogar das Lieblingsbuch und ich kann es nur weiter empfehlen, in der Hoffnung, dass diesem Ausnahmeautor auch in Deutschland mehr Beachtung zuteil wird.

Titel: Sailing to Sarantium
Autor: Guy Gavriel Kay
Sprache: Englisch
ISBN-10: 045146351X
ISBN-13: 978-0451463517


oder:


Titel: Das Komplott
Autor: Guy Gavriel Kay
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3453188063
ISBN-13: 978-3453188068

und:


Titel: Das Mosaik
Autor: Guy Gavriel Kay
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 345318811X
ISBN-13: 978-3453188112

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen