Was
ist der größte Unterschied zwischen Fantasy und anderen Genres?
Magie, epische Abenteuer, fantastische Kreaturen? Sicherlich alles
Anwärter auf den ersten Platz, aber im Grunde kann es nur eine
Antwort geben: Fantasy lebt von den Welten und Orten, an denen die
Handlung spielt, von Königreichen und Imperien, über verwunschene
Wälder, gigantische Berge und tödliche Sümpfe, hin zu den Ruinen
Derer-Die-Vor-Uns-Waren, zu den Küsten wilder Länder in denen
Schwert und Zauberei herrschen.
Die
Welt ist in der Fantasy oft der heimliche Hauptdarsteller, sie zieht
den Leser in ihren Bann und lässt ihn die Wirklichkeit vergessen -
wenn der Autor sein Handwerk versteht. Wenn nicht, erinnert sie ihn
an die Grenzen der Fiktion und das kleinste Detail reißt uns mit
scharfem Ruck aus dem Buch.
Neben
Charakteren und Handlung ist deshalb die Schaffung einer in sich
stimmigen Welt die Hauptaufgabe von Fantasy-Autorinnen und -Autoren.
Dass diese Aufgabe mehr Stolpersteine als alles andere besitzt, ist
nicht schwer vorstellbar, wird aber zu oft zugunsten sekundärer
Merkmale vergessen: Was macht es schon, dass das kleine Dörfchen
Willowvale zwischen den Eisenbergen, südlich von Immerwacht,
Garnisonsstadt des Reiches von Drachenstein irgendwie fehl am Platze
wirkt? Der Name ist schließlich cool, sollte das nicht Vorrang vor
allen anderen Faktoren genießen? Was macht es schon, dass die drei
jungen aus Willowvale, die wir auf ihrem Weg zu Heldentum, magischer
Macht und Königsthron begleiten, Paul, Peter und Fariendien heißen?
Oder, dass die drei ohne Probleme mit den Einwohnern des Reiches von
Drachenstein kommunizieren können, obwohl Willovwale vor dreihundert
Jahren durch den Fluch eines Erzmagiers vom Rest der Welt
abgeschnitten wurde? Wir
schreiben schließlich keinen historischen Roman, sondern Fantasy,
das Genre, in dem man eh machen kann, was man will!
Es
wird niemanden verwundern, der Stigma Fantasy gelesen hat, dass ich
mit dieser Denkweise nicht viel anfangen kann. Ja, Fantasy ist - der
Name sagt es - bis zu einem gewissen Grad immer fantastisch. Ja, es
sind keine realen Orte, von denen der Autor berichtet. sondern
Fragmente seiner Fiktion. Aber all das sind keine Gründe, die Welt,
die den Leser überzeugen soll, unbedacht zusammen zu stoppeln.
In
den nächsten Beiträgen möchte unter Zuhilfenahme von kurzen
Beispielen darstellen, was meiner Meinung nach die "Dos and
Don'ts" des Weltenschmiedens sind. Hauptaugenmerk liegt dabei
auf Namensgebung. Beim ersten Mal geht es um die Namen von Orten,
nächstes Mal dann um die Namen von Charakteren. Bevor es losgeht
möchte ich hinzufügen, dass keine meiner Beobachtungen gegen diesen
oder jenen Autoren als Person gemeint ist und es sich dabei alleine
um meine Meinung handelt.
Mittelerde: DIE durchdachte Welt - Quelle: wikipedia.com |
Kaum
etwas bereitet mir gleichzeitig soviel Spaß und Kopfzerbrechen, wie
das Ausdenken von Namen. Die zentralen Fragen sind dabei stets: warum
dieser Name? Was sagt der Name über den Charakter/Ort aus? Hat er
eine Bedeutung und wenn ja, woher stammt sie? Welche Grenzen erlegt
ein Name wie das Tal der Letzten Ernte der Welt auf? Und wenn wir
dabei sind: Wohin bewegen sich diese Grenzen, wenn keine fünf Meilen
entfernt die Stadt Uiedine liegt?
Ein
guter Name ist ein großartiger Ausgangsort für die Erschaffung
einer Welt oder Stadt, für mich zumindest meist weitaus ergiebiger
als ein Bild, ob es nun physisch in der Welt existiert oder hinter
den Schläfen entstanden ist. Ich denke weder, dass ich der einzige
bin, der so arbeitet, noch halte ich es für eine schlechte
Ausgangsposition - aber wie so viele Kleinigkeiten müssen auch hier
beim Weltenschmieden einige Dinge beachtet werden.
Denn
egal wie viele Routen für die Erschaffung einer fantastischen Welt
ein Name auch bietet, er verschließt womöglich noch mehr. Um bei
den eingangs genannten Beispielen zu bleiben: Willowvale sticht
deutlich aus den anderen Namen hervor, weil es der einzige englische
Name ist. Das ist an sich keine Katastrophe, wirft aber Fragen auf.
Warum tragen die anderen Orte deutsche Namen? Natürlich kann es
dafür eine Erklärung geben - Willowvale wurde gegründet, bevor der
Rest des Landes unter die Herrschaft des Reiches von Drachenstein
fiel. Aufgrund seiner Abgeschiedenheit (vielleicht wegen des
erwähnten Fluchs) hat sich der Einfluss des Reiches nie auf das
kleine Dorf ausgedehnt, das so seine alte Identität behalten konnte,
anders als Immerwacht, dessen wahrer Name längst in den Wirbeln der
Zeit verloren gegangen ist - meistens scheinen aber nicht so viele
Gedanken eingeflossen zu sein. Vielleicht ging dem eigentlichen
Schreiben eine Karte voraus oder ein Weltprofil, das - ähnlich wie
ein Charakterprofil - all die Dinge enthält, von denen der Autor
begeistert war, das aber keine Zusammenhänge vermitteln kann, wie
sie der Schreibprozess zum Vorschein bringt. Oder aber der Autor
hatte Probleme, sich von all seinen "coolen" Ideen zu
trennen. Oder es wird direkt die Rule-of-Cool angeführt. Der Name
Willowvale hat dem angehenden Fantasy-Megastar bloß gefallen, aber
dann wandte sich seine Aufmerksamkeit dem Süden auf seiner Karte zu
und Drachenstein war mit einem Mal einfach da.
Das
Problem ist aber, dass eine Fantasy-Welt - gerade weil sie fiktiv ist
- sich deutlich mehr anstrengen muss, den Leser gefangen zu nehmen.
Während wir akzeptieren können, dass auf einer Karte der echten
Welt Orte nebeneinander liegen können, die aus radikal verschiedenen
Kulturkreisen stammen - man muss sich nur mal in Südafrika umsehen
-, ist Fantasyland darauf angewiesen, ein stimmiges Gesamtbild zu
liefern. Sonst wird sich der Leser allzu schnell bewusst, sich bloß
im schriftstellerischen Gegenstück von Pappkulisse und Lightshow zu
bewegen. Entweder kann dies über gute Erklärungen geschehen oder
indem Autoren/innen mehr als nur einen flüchtigen Gedanken darauf
verwenden, wie ihre Städte und Länder, Burgen und Schlösser,
giftigen Sümpfe und endlosen Wüsten heißen.
Westeros - Das Lied von Eis und Feuer - Quelle: de.gameofthrones.wikia.com |
Beim
Weltenbauen (oder -schmieden) darf nicht vergessen werden, dass Namen
immer Produkte von Kultur sind und sich in der Regel entlang
geschichtlicher Ereignisse entwickeln. Sie entstehen nicht im
luftleeren Raum. Orte, die dem gleichen Herrschaftsbereich angehören,
werden ähnliche Namen tragen, wohingegen eine eroberte Stadt
womöglich von den neuen Herrschern einen neuen Namen verpasst
bekommt. Ihre Bewohner verwenden vielleicht immer noch den alten und
sprechen noch von Uiedine, obwohl die Stadt nach der Schlacht im Tal
der Letzten Ernte längst als Königsfall in der ganzen Welt bekannt
ist.
Im
Idealfall können Namen also im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte
schreiben. Sie können die Lücken ausfüllen, die die eigentliche
Handlung lässt. Aber wenn man keine Sorgfalt walten lässt, sind sie
es mitunter, die die spannendste Handlung in Einzelteile zersägen
und Fantasy wieder als das darstehen lassen, was das Genre nicht sein
sollte.
Wie
man es richtig macht, zeigt Das Lied von Eis und Feuer. Man mag von
der aktuellen Übersetzung halten, was man will (ich halte sie für
stimmig und notwendig), aber sie macht deutlich, wie wohlüberlegte
Namensgebung einer Welt Charakter verleiht. In Westeros, dem
Kontinent, auf dem ein Großteil der Handlung stattfindet, gibt es
Städte wie Königsmund (so genannt, weil dort einst das Geschlecht
der Tagaryen landete, die Westeros lange Zeit beherrschten),
Festungen wie Harenhall (benannt nach ihrem Erbauer) und
Casterlystein (benannt nach dem Geschlecht, dass die Burg einst
errichtete). Die Namen reflektieren zweierlei: zum einen, die geeinte
Natur des Landes, die aber unter den großen Häusern zersplittert
ist, wenn man näher hinschaut; zum anderen grenzt Martin Westeros so
von der, weiter östlich gelegenen Landmasse ab, auf der andere Namen
vorherrschen: Astapor, Vaes Dothrak oder Qarth, die wiederum
ihrerseits einer internen Logik zu folgen scheinen.
GuyGavriel Kay hat es in seinen Büchern etwas leichter. Da er seine
Welten stets auf bestimmten Gegenden unserer Welt basieren lässt,
wie etwa Byzanz oder die italienischen Stadtstaaten des
Spätmittelalters. Dadurch ergibt sich zwangsläufig eine interne
Logik in der Namensgebung. Am deutlichsten ist das in Tigana, Kays
Epos über Revolution und die Macht der Erinnerung, zu erkennen:
Senzio, Chiara, Corte, Certando – alles Namen, die zueinander
passen, aber genug Unterschiede besitzen um die zersplitterte interne
Politik der Halbinsel widerzuspiegeln, auf der eine Gruppe
Ausgestoßener die Vertreibung der Tyrannen plant, die die Herrschaft
an sich gerissen haben.
Tigana und umliegende Provinzen - Quelle: daelstorm.thegraveyard.org |
Was
passieren kann, wenn man Namen nach dem
Was-Gerade-In-Den-Sinn-Kommt-Prinzip auf eine Karte klatscht,
illustriert dagegen ein Blick auf die Innenseite von Trudi Canavans Die Gilde der Schwarzen Magier Trilogie: da liegt die Hauptstadt Imardin der Stadt Rastfähre an
der Tanjin-See gegenüber, im Osten liegt hingegen die Corres-See.
Entlang derselben langen Straße finden sich die Städte Kendil,
Calia und Kaltbrücken. Die Grenzen des Landes werden von drei
Festungen bewacht: Das Graue Fort, Fort Corres und Das Fort. An der
Küste (und ebenfalls an einer Straße) gibt es die Städte Fennin,
Agen und Sheel. So etwas wie interne Kohärenz gibt es nicht einmal
ansatzweise.
Trudi Canavans Kyralia - Quelle: kyralia.iowoi.org |
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