Vor kurzem bin ich
auf eine Kundenbewertung bei Amazon aufmerksam geworden: ein Kunde beschwerte sich über
George R.R. Martins Fantasy-Reihe „Das Lied von Eis und Feuer“,
bei der es sich im Kern um eine realistische und kompromisslose
Darstellung eines Bürgerkriegs handelt. Große Worte wurden gewählt
und schon in der Überschrift betitelte der Kunde das Buch als
„jugendgefährdend“, was er als besonders bedenklich empfand,
weil „dieses Genre gerade von Jugendlichen gerne gelesen wird“.
Abseits der durchaus berechtigten Frage, ob Kinder und Jugendliche
ein Buch lesen dürfen sollten, nur weil Fantasy draufsteht, oder was
eigentlich damit ausgedrückt werden soll, wenn etwas als
„jugendgefährdend“ deklariert wird, wurde für mich damit wieder
ein zentrales Stigma des Genres Fantasy deutlich.
Quelle: amazon.de
Fantasy, sagt das
kollektive Bewusstsein, ist für Kinder, für Nerds, geschrieben von
Nerds, die lange Aneinanderreihungen von archaischer Prosa mit gutem
Stil und Pappaufsteller mit ausgefeilten Charakteren verwechseln.
Diese Generalisierung untergräbt den ohnehin schweren Stand der
Fantasy in der öffentlichen Wahrnehmung, das wahre Potential des
Genres und ist in vielerlei Hinsicht dem Umgang der Verlage mit dem
Genre geschuldet. Die Idee, dass
Fantasy ausschließlich an Kinder gerichtet ist, hat mir nie wirklich
eingeleuchtet, besonders, wenn man bedenkt, wo die Wurzeln des Genres
liegen. Fantasy ist der Nachfahre der Mythen und Sagen, der Märchen,
des Nibelungenliedes und der Edda.
Quelle: Wikipedia
Es entleiht sich Elemente aus
Volkssagen der verschiedensten Länder und Kulturkreise und verwendet
oft Strukturen, die denen der Sagen ähneln: der Held, der Prüfungen
und Gefahren überwinden muss, bevor er Reife und Macht erlangt,
seine (oft übernatürliche) Aufgabe anzugehen, ist ein Topos vieler
Sagen und früher Fantasygeschichten. Tolkiens Der Herr der Ringe
ist wohl eines der am weitesten bekannten Beispiele und folgt dieser
Muster sehr deutlich. Es ist leider auch, woran oft gedacht wird,
wenn von Fantasy die Rede ist. Oft wird das gesamte Genre darauf
reduziert – das beweisen hunderte oder gar tausende Geschichten von
Autoren, die Tolkien zu verbessern versuchen, ihn zu ihrer
Hauptinspiration zählen oder ihn schlichtweg kopieren. Gedankenlose
Nachahmungen und Geschichten, geboren aus mangelndem Verstehen
dessen, was Der Herr der Ringe zu
dem großartigen Werk macht, das es ist, haben Fantasy als das Genre
vorhersehbarer Plots, vereinfachter Wertevorstellungen und makelloser
Helden in das kollektive Bewusstsein eingehen lassen.
Quelle: Wikipedia
Ironischerweise
ist gerade dies ein limitierender Faktor für den Erfolg von Autoren,
die von diesem Muster abweichen wollen. Wie das Beispiel von „Das
Lied von Eis und Feuer“ - trotz seines Erfolges – illustriert,
sind es gerade die Versuche, das Genre mit einem gewissen
Realitätsbezug oder einer gewissen Bodenständigkeit zu versehen,
die auf Ablehnung stoßen. Fantasy-Autoren, hat man das Gefühl,
nicht nur, wenn man in den großen Buchhandlungen durch die Regale
schaut, sollen gefälligst bei den alten Mustern bleiben, sollen
helfen, der Realität zu entfliehen, anstatt wichtige Fragen zu
stellen oder große Themen anzugehen. Während andere Genre-Fiction –
das Hard-Boiled-Genre im Krimi oder auch Science Fiction – mit
dunklen, harten Welten, mit ambivalenten Charakteren durchkommen und
sogar dafür gelobt werden, erwartet man vom Fantasy-Protagonisten,
dass er der Ritter auf weißem Ross sein soll, eine Figur mit
unverrückbarer Moralität. Davon abzuweichen, zieht oft Kritik nach
sich: George R.R. Martin ist zu brutal, zu fokussiert auf Politik,
Guy Gavriel Kays Crispin, der Mosaikmacher, ist kein echter Held. Oft
genug sind es gerade die Bestseller, die auf ausgetretenen Pfaden
wandeln – Eragon sei
nur ein Beispiel. Guy Gavriel Kay, ein kanadischer Historiker, dessen
Welten stets bis ins letzte Detail ausgefeilt sind, dessen Handlungen
viel Raum für Interpretationen bieten und dessen Charaktere oft
schmerzhaft menschlich sind, ist in Deutschland nahezu unbekannt, in
den USA hinkt er etwa Robert Jordan in Sachen Erfolg weit hinterher.
Dabei nutzt er in seinen Geschichten Setting und Weltendetails wie
kein zweiter um wichtige Fragen in Welten zu transportieren, in denen
sein ausgefeilter Mix aus Fiktion und Realität erlaubt, sie in
sicherer Umgebung anzugehen. Ist nicht gerade das einer der größten
Vorteile der Fantasy? Die Fähigkeit, den Abstand zwischen der
dargestellten und unserer Welt zu nutzen um den Leser zu packen und
ihn über Probleme und Fragen nachdenken zu lassen, die in
realistischeren Settings oder in der echten Welt zu groß oder zu
emotional aufgeladen erscheinen.
Quelle: amazon.de
Dieser Status Quo des Genres ist ein Produkt vieler Faktoren, nicht zuletzt der Kaufgewohnheiten. Als zentral darf aber auch der Umgang der großen Verlage mit dem Genre angesehen werden. Fantasy ist schließlich eines der Genres, die sich am besten verkaufen. Es erscheint daher oft, als wären die Verlage zufrieden damit, alles mögliche auf den Markt zu werfen, während sie gleichzeitig selten in Autoren oder Serien investieren, die nicht bestimmte Kriterien erfüllen. Die zentrale Frage scheint dabei oft zu sein: „Gibt es bereits erfolgreiche Bücher in dieser Nische des Genres?“ Die Folge dessen sind hunderte Geschichten um übernatürliche Dreiecksbeziehungen, die die Twilight-Reihe imitieren, die wer-weiß-wievielste übergepinselte Version von Der Herr der Ringe und uninspirierte Werke, die erfolgreichen Büchern oft bis auf das Design des Covers gleichen. Vielleicht ist es eine einseitige Attribuierung, aber der Gedanke liegt nahe, dass dies Resultat des Desinteresses oder Unwillens seitens der Verlage ist. So lange wirklich ausgefeilte Werke, wie – und ich komme wieder darauf zurück – Das Lied von Eis und Feuer in der Minderheit sind, ist es leichter Geld zu machen ohne in die Unterstützung von Talenten zu investieren, die die Grenzen des Genres auszuloten versuchen.
All
das sind Faktoren, die meiner Meinung nach das Genre Fantasy
einschränken. Es kann im Grunde als Teufelskreis betrachtet werden:
die Wahrnehmung des Genres kann sich nicht ändern, solange
Konsumenten sich nicht auf Versuche einlassen, neue Konzepte zu
etablieren, doch das kann nicht passieren, es sei denn, wagemutigere,
komplexere Werke werden besser gefördert und beworben. An dieser
Stelle müssen die Verlage mitspielen, deren Interesse jedoch
hauptsächlich auf dem Erhalt des für sie rentablen Status Quo zu
liegen scheint. Allem Anschein nach handelte es sich ja auch bei der
Fokussierung der Neuauflage von Das Lied von Eis und Feuer
um einen Befreiungsschlag des
angeschlagenen Verlages Blanvalet. Dass zeitgleich die HBO-Serie Game of Thrones, basierend auf dem
ersten Band der Buchreihe, in den USA produziert wurde, spielt
sicherlich auch eine Rolle. Wäre es nicht schön, wenn ausgerechnet
George R.R. Martins später, dafür aber umso größerer Erfolg es
anderen, unbekannteren Autoren ermöglichte, die Chance zu ergreifen,
von ihrem Verlag gefördert, zu einer neuen Wahrnehmung unser aller
Lieblingsgenres beizutragen?
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