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Montag, 20. Mai 2013

Ausgelatschte Pfade - oder: Fantasy-Klischees II

Zuerst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass es der aktuelle Eintrag mit derartiger Verspätung an den Start geht, aber die Uni hat mich diese (also vergangene) Woche stärker in Anspruch genommen als erwartet. Deshalb wird sich wohl auch diese Woche der letzte Teil der Serie auf Freitag oder Samstag verschieben. Ich hoffe, ihr könnt mir das nachsehen.
Viel Spaß beim zweiten Teil der Fantasy-Missliste. 

Platz 8: Die Gefährten, oder: Auf Reisen mit Schablonen
 
Oreganor, Froda, Gumli und Gandalfine? - Copyright: Wizards of the Coast

 Unser Held plus Lehrmeister gelangen früher oder später an einen Punkt, an dem sie alleine nicht mehr voran kommen. Unterstützung muss her.
Nun, daran ist ja erst mal nichts schlecht. Aber auch hier schlägt oftmals der Klischeeteufel zu, sobald dem Autoren auffällt, dass die Weltenrettung zu zweit nicht funktionieren wird. Bald hat sich eine multikulturelle Gruppe zusammengefunden, die in ihrem Bestreben, den Plot … Verzeihung, ihre Aufgabe zu Ende zu führen, geeint gen Dunklerlordistan strebt. Aber nicht immer haben die einzelnen Charaktere eine wirkliche Motivation, die gleichen Ziele zu verfolgen wie der Hauptcharakter. Nein, oft haben sie überhaupt keine Motivation und die Heldengruppe ist nur eines der weiteren Elemente, die aus dem Herrn der Ringe kopiert werden. Tolkien hat schließlich eine bunte Truppe an Frodos Seite gestellt, wer also in seine Fußstapfen treten will, muss auch eine haben. Und Gimli & Co. brauchten ja schließlich auch keine Motivation, richtig?
Nicht so ganz. Denn, was gerne mal vergessen wird – wie so oft, wenn man sich unreflektiert an angeblichen „Genrestandards“ orientiert: Jedes einzelne Mitglied der Gefährten hatte eine Motivation, Frodo zu folgen.
Sicher, bei vielen ist es nicht mehr als Treue zu Frodo (Sam und Gandalf etwa), aber das ist immer noch hundert Prozent mehr als die meisten anderen Standardfantasy-Gefährten vorzuzeigen haben.
Dabei täten Autoren gut daran, sich lieber Gedanken um komplexe, eigenmotivierte Charaktere zu machen, als eine Liste abzuarbeiten, bis von „Magier“ bis „Zwerg“ überall ein Häkchen gemacht wurde.
Warum folgt Charakter X dem Helden? Warum sollte Elfenkrieger Y Interesse daran haben, einen Bauernjungen und einen bärtigen Landstreicher bis ans Ende der Welt zu begleiten?
Und davon ab: wieso immer Elfen, Zwerge und dergleichen? Fantasy fasziniert nicht dadurch, dass bekannte Elemente bis zur Unkenntlichkeit immer wieder durchgekaut werden, sondern, dass der Leser neue, unbekannte Welten erforscht. Denkt darüber nach, welcher der Charaktere, denen der Protagonist auf seinem Weg begegnet, sich überhaupt als Gefährte eignet und – bitte! - lasst diese Charaktere aus anderen Antrieben handeln als blinder Verehrung für den Helden oder einer Selbstlosigkeit, um die sie Mutter Theresa beneiden würde.


Platz 7: Kämpfe
 
Ohne Worte - Copyright: 20th Century Fox

Kämpfe sind Teil der meisten Fantasygeschichten und ich will sie auch gar nicht verbannen - obwohl ich Geschichten bevorzuge in denen der Protagonist nicht im Minutentakt Orks durch den Laubhäcksler dreht.
Aber wie mit so vielen anderen Dingen, an denen ich hier so Anstoß nehme, sind Kämpfe – auch wenn sie Stoßstange an Stoßstange folgen – wieder mal etwas, um das sich viele Autoren zu wenig Gedanken machen. Nur weil es Fantasy ist, heißt das nicht, dass Recherche außen vor gelassen werden kann.
Klar, niemand kann mal eben nachschlagen, wie so ein Duell zwischen Magiern aussehen muss, aber es gibt genug Handbücher und Youtube-Videos, die einen Eindruck über den Kampf mit verschiedenen Waffen vermitteln. Gerade im Zeitalter des Internets sollte es für Niemanden ein zu großer Umstand sein, einfach mal Genosse Google anzuwerfen.
Denn auch in der Fantasy gibt es eine Reihe von Regeln zu beachten, wenn es um kämpferische Auseinandersetzungen geht.
Wozu dient welche Waffe? Kann ich mit einem Schwert blocken? (Antwort: Ja, aber nicht allzu oft.) Welchen Einfluss haben Rüstungen auf die Bewegungsfreiheit?
Außerdem sind solche Recherchen hilfreich, um einen Autoren zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen. Denn schnell wird klar, dass kein noch so begabter Krieger (oder gar Timmy) gegen zwanzig Assassinen bestehen kann. Oder nach einem Treffer mit einem Streitkolben lustig umherspringen. Oder sein Schwert werfen und damit treffen. Oder mit einem Zweihänder in Innenräumen mit etwas anderem Erfolg haben, als die Bilder von den Wänden zu holen.
Zu dieser Art der Recherche gehört dann auch, sich über Arten von Verletzungen zu informieren. Und das ist dann wiederum Wissen, dass auch für den Kampf unter Magiern nützlich ist: Was macht der Körper nach einem Blitzschlag oder einer Verbrennung, wie schnell kann jemand verbluten, was bricht Pseudo-Gandalf sich, wenn der Freiflugzauber plötzlich versagt?

Platz 6: Der Völker-Zoo
 
by aizo


Obwohl seit „Der Herr der Ringe“ einige Zeit ins Land gezogen ist, die eigentlich neuen Ideen ermöglichen sollte ans Licht zu treten, stirbt die Idee der tolkienesken Völker als Must-Have für das Genre nicht den Alterstod, den sie verdient hätte. Woran das liegt, kann ich nur vermuten: Wie einige andere Elemente aus dieser Liste scheint die Vielvölkerei Mittelerdes oftmals unreflektiert übernommen zu werden, weil – D'uh! - es ist ja keine Fantasy, wenn keine Elfen auftauchen. Oder Orks. Oder Zwerge. Drachen. Halblinge. …
Und irgendwie scheint es sogar noch gut anzukommen, wie beispielsweise der Erfolg von Eragon erahnen lässt.
Pauschal habe ich eigentlich nichts gegen etablierte Fantasy-Völker. Aber selten unternimmt ein Autor etwas interessantes mit dem Konzept, denn wer Tolkiens Elben kennt, kennt Paolinis oder Salvatores. Ausnahmen bilden nette Experimente wie Markus Heitz Die Orks, aber schon Die Zwerge beweist, dass mit einem ausgetretenen Konzept nun mal nur begrenzt viel angefangen werden kann. Hinzu kommt, dass die meisten Fantasy-Völker intern keinerlei Unterschiede aufzuweisen scheinen: Elfen sind groß und schön und magisch und mögen die Natur, Zwerge tragen Bärte und trinken Bier, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig die Köpfe mit Äxten einschlagen. Orks gibt es in ebenso vielen Variatonen, aber während einige Autoren zumindest einen Hauch von Anstand besitzen und ihnen andere Namen geben – Robert Jordan: Trollocs; Christopher Paolini: Urgals – sind sie so austauschbar wie alle anderen Völker.
Warum also nicht eigene Völker kreieren? Nordische Mythologie hat mehr zu bieten als spitze Ohren und lange Bärte. Nun, zumindest als spitze Ohren.
Oder man lässt die fremden Völker gleich einfach ganz weg und konzentriert sich auf den Menschen, auf Menschlichkeit, Politik, persönliche Geschichten. Ein großartiges Beispiel dafür sind Glen Cooks Black Company Bücher. Die Welt in der sie spielen ist fremdartig und von allerlei Getier bevölkert, das einer äußerst kreativen Phantasie entsprungen ist – aber Menschen sind (beinahe) die einzigen intelligenten Lebensformen und die Handlung ergibt sich aus dem Zusammenspiel vieler menschlicher Faktoren. Und Magiern. Vielen, mächtigen Magiern.

Platz 5: Magie
 
Magier aus Werksverkauf - Copyright: Dragonlance

Ja, richtig gelesen, Magie ist für mich ein überholtes Fantasyklischee.
Aber halt! Nicht gleich Mistgabeln und Fackeln rausholen.
Prinzipiell habe ich nichts gegen Magie, schließlich ist sie ein integraler Bestandteil der meisten Fantasygeschichten und zwar zu Recht. Oftmals macht sie den kleinen Unterschied zwischen unserer Welt und Mittelerde/Westeros/Fantasyland aus. Mein erstes Buch hat einen Zauberer als Hauptcharakter und ich kann nicht behaupten, dass Magie eine zu vernachlässigende Rolle spielt.
Trotzdem plädiere ich dafür, weniger Magie – besonders von Individuen kontrollierte – in Handlungen einzubinden. Zum einen hilft das, realistische Charaktere in den Vordergrund zu rücken. Zum anderen kann es eine Herausforderung sein, dem Plot an Engpässen nicht durch magische Tricks auf die Sprünge zu helfen. Ein Kampf ist spannender, wenn kein Heiler bereit steht, Wunden durch Handauflegung zu beseitigen, genau so wie Böses, das nicht als untoter Magier oder seelenfressender Dämon daherkommt, sondern in der Gestalt von (gewöhnlichen) Menschen. Das perfekte Beispiel, wie effektiv so etwas sein kann, ist meiner Meinung nach in Pratchetts „Die Nachtwache“ zu finden. Die „wahren Bösen“ - soviel sei gesagt, ohne zu viel zu verraten – sind keine mächtigen Magier oder Lenker im Hintergrund, sondern kleine Leute, die, aus welche Motivation auch immer, Verwaltungsarbeiten erledigen, ohne ihre Rolle zu hinterfragen. Vertraut mir, es ist spannender als es klingt.
Ich bin nicht gegen Magie per se, denke aber, dass es dem Genre nicht schaden könnte, wenn Autoren ihre Helden durch andere Mitteln am Leben erhalten müssen, als durch magische Intervention. Vielleicht können sie die Protagonisten sogar gar nicht retten, wenn nicht im rechten Moment Erzmagier Convenius zur Verfügung steht – siehe George R.R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“. Martins Setting ist nicht frei von Magie, aber sie spielt bestenfalls eine untergeordnete Rolle.
Wenn es aber Magie gibt, dann sind ein paar Grundregeln zu beachten. Die lauten in etwa:
1. Es muss überhaupt Grundregeln geben. Magie darf nie übermächtig sein, sonst geht jeder Hauch von Spannung flöten. Sie darf vor allem nicht dazu dienen, ALLES zu tun, soll heißen, sie muss in Grenzen operieren. Dazu später mehr.
2. Die Grundregeln müssen zu jedem Zeitpunkt eingehalten werden. Wenn im ersten Kapitel etabliert wurde, dass Magier nur Heilen können, indem sie die Wunden ihrer Opfer auf sich nehmen, kann der Magier-Protagonist es nicht überleben, im Finale den tödlich verwundeten König zu retten.
3. Magie muss Limitierungen unterliegen. Klingt im ersten Grunde wie Punkt 1, kann aber nicht oft genug betont werden: Magie, die im Grunde nichts anderes als ein Eingreifen des Autoren ist, erstickt den Plot und seine Gefahren in der Krippe. Wenn der Held aber dann doch ein kleines magisches Wunder vollbringt, dann darf es bitte nicht aus dem Nichts kommen. Wenn vorher nie erwähnt wurde, dass ein mächtiger Magier mit einem Opfer seines eigenen Blutes für einen Moment ein Tor in den Himmel öffnen kann, damit heiliges Licht alle Untoten und Dämonen vernichtet, sollte die finale Konfrontation besser nicht auf diese Weise aufgelöst werden.
4. Die Helden sollten nie die mächtigste Magie haben. Sicherlich eine Meinungssache, aber wenn der Held jeden Feind mit Fingerschnippen von der Bühne fegt, folgt die Spannung meist direkt nach.
5. Magie sollte nie das erste Mitteln zur Lösung von Problemen sein.


Nächste Woche: die Plätze 4 bis 1.

6 Kommentare:

  1. Ich will dir nicht schon wieder mit einem riesigen Kommentar wertvolle Zeit stehlen (obwohl es durchaus was zu sagen gäbe - besonders mit Magie hab ich mich viel auseinandergesetzt, und die nordische Mythologie wäre immer eine Diskussion wert *G*), daher heut mal ganz kurz: Stimme in allen Punkten weitestgehend zu! :-)

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    1. Dem schliesse ich mich an. Und jetzt bin ich wirklich gespannt auf die ersten vier Plätze!

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    2. So, spät, aber ich antworte noch^^
      Danke erstmal fürs Lesen. Mich würde - wenn du Zeit hast - trotzdem mal deine Meinung zum Thema Magie hören.

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    3. Ich plane eigentlich schon länger eine ganze Artikelserie zu Magiesystemen, nur bleibt das alles wegen der Uni aktuell etwas auf der Strecke. Kann man aber - wenn denn mal Licht am Ende dieses Prüfungstunnels ist - dann hoffentlich bald in der Weltenschmiede nachlesen ;)

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    4. Oh, darauf bin ich mal gespannt :)
      Und viel Erfolg in der Uni, den Stress kann ich nur allzu gut nachvollziehen^^

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